
Wie hat Fromm das eigentlich ausgehalten? Tagein - Tagaus im Trott der Verwaltung. Bot der Alltag in Brigittes Polizeikarriere bis zum nachrücken auf Fromms Stuhl schon wenig Erfreuliches oder Abwechslungsreiches, so sind die ersten Wochen als kriminale Quasifürstin im Königreich Schwerin, noch stupider und geprägt von nervtötenden Verwaltungsvorgängen. So muss sich ein hoffnungsvoller ehemals engagierter Arzt fühlen, der es nach endlosen Nacht- und Wochenenddiensten geschafft hat, nach dem lange aufopfernd ausgeübten Oberarztposten, den Klinikchef zu beerben. Am Krankenbett bei Patienten wird er sich nur noch zu Presseterminen sehen lassen können.
Geändert hat sich in der Büroetage der Schweriner Kriminalpolizei nichts seit dem ehrenhaften Verschwinden des alten Chefs. Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass neue und zudem weibliche Besen gut fegen. Zwar ist Brigitte, rein optisch für ihr Alter immer noch ein beachtlicher Feger, aber zum einen, groß war der Veränderungsdruck innerhalb der Abteilung nicht und zum anderen, ist Frau Hartling eine faktenbasierte, rational gesteuerte Person, die nicht an jeder Ecke ihres Lebens Blumen oder Kerzen zu stehen haben muss. Sie bewahrt durch Kontinuität die geschäftliche Effizienz und die schlanke Struktur der Behörde bei, als wenn sie nur temporär den Vorsitz inne hätte, bis der liebe gute alte Herr Fromm erholt und braungebrannt wieder aus seinem Wohnmobil auf den Parkplatz ausgespuckt wird.
Bisher gelang es Brigitte ihre Tage so zu stricken, dass möglichst wenig Überstunden zu machen waren. Organisatorische Fauxpas konnten vermieden werden. Von Ladendieben und spätpubertären Dummheiten der vornehmlich männlichen Teenager in den Betonplatten-Großsiedlungen hat sie sich räumlich soweit verabschiedet, dass diese Delikte nur noch in der Statistik auftauchen, welche sie nun aber sorgfältig füttert und blumig-bildhaft für die politisch Verantwortlichen zum besseren Verständnis aufbereitet. Nun sind die Zahlen der Straftaten innerhalb der Landeshauptstadt ohnehin nicht besorgniserregend hoch und sowieso seit Jahren rückläufig gewesen. Nach dem Abgang des alten Leiters, diese weiterhin signifikant senken zu wollen, käme einer ins negative fallende Statistik gleich und das muss dann wohl noch erfunden werden. Gleichzeitig muss die Leiterin der Kriminalpolizei natürlich auch dafür sorgen, dass ihr Budget nicht gekürzt wird und ihre Mitarbeiter mit oder ohne Uniform omnipräsent im Stadtbild durch ihre aufopferungsvolle Arbeit auffallen. Sie hat schon beim nächsten Mittelaltermarkt einen Stand für öffentliche Steinigungen angedacht oder über die publikumswirksame Installation einer Kerkerzelle gleich neben denn Landtag im Schloss halblaut nachgedacht. Aber das wäre dann vielleicht ein Fall für die Politische Polizei, nicht Brigittes Hochzeit. In der Zwischenzeit lässt sich Brigitte jeden zweiten Tag über alle laufenden Ermittlungen ihrer fünfunddreißig Mitarbeiter auf dem laufenden Stand halten. Dabei versucht sie in ihrem Hirn 35 kleine Schubkästen auf und zu zu machen und niemals die Übersicht zu verlieren. Der Wiederholungsruhestörer aus der Weinertstr., der Vorgang zu der Belästigungsanzeige gegen den Zeitungsredakteur, der aufgeflogene Deal mit 1 kg Gras an der Berufsschule, die Einbruchsserie in die Kleingartenanlage ,….., alles hat seinen Platz. Manchmal, wenn zu viel durcheinander gerät, drückt sie sich kurz auf die Ohren -so als wenn die kleinen Helferlein in ihrem Kopf ausnahmsweise ein bisschen länger brauchen, alle Akten wieder ruckzuck knitterfrei in die richtige Schubfächer zurückzulegen und für das Lesen der entsprechend neuen und klein beschriebenen Beschilderung der Schubkästen, erstmal ihre Taschenlampe benutzen müssen. Bibliothekswesen als Nebenfach im Studium, wäre auch von Vorteil gewesen. Brigittes natürliche strukturelle Veranlagung und ihre Vorliebe für Ordnung und Verlässlichkeit ist ihr bei ihren neuen Aufgaben sehr behilflich. Ihr Gespür für Geschichten, die noch nicht zu Ende erzählt sind, bei denen noch Dinge nicht von allen Seiten beleuchtet wurden, der Unglaube über hirnrissige Geschichten die von Tatverdächtigen erfunden werden, aber auch ihre Liebe zur akribischen Kleinarbeit mit Hang zum Pedantismus, sind wahrhaft segensreich. Neu ist freilich auch, dass sie nun nicht mehr nur gegen die schlampigen Unholde kämpfen muss, die sich bei Gesetzesverstößen erwischen lassen, nein sie hat noch 35 teilweise geschulte und für Schweriner Verhältnisse, leicht überdurchschnittlich intelligente Bedienstete zu tun, die aber nur manchmal auch glänzende Mitarbeiter sind. Leider tanzen grad die am häufigsten aus der Reihe, die das größte Potenzial haben. Fred, zum Beispiel oder Sybille. Tolle Ermittler, keine Frage, aber menschlich ziemlich große Baustellen. Fred, der Fred ist stadtbekannt und seine ausgebeulte hellbeige Ganzjahres-Blousonlederjacke hat in Schwerin schon Kultcharakter fast wie bei diesem Fehrnsehtatortfritzen „Schimanski“ aus den 80er Jahren im Westfernsehen. Seinen Dienstausweis musste er noch nie vorzeigen. Alle scheinen über seine berufliche Tätigkeit im Bilde zu sein. Auch der allgemeine shabbystyle an Fred ist für Außenstehende besorgniserregend. Immerhin konnte Brigitte sich mit ihm per Dienstanweisung „einigen“, zwei mal in der Woche mit gewaschenen Haaren und frischen Obertrikotagen zum Dienst zu erscheinen. Er schnallt sich nie in Autos an und nimmt, falls er dienstlich in unterwegs ist, lieber das nervtötende Piepen des automatischen Gurtwarners in modernen Fahrzeugen hin. Deswegen vermeiden alle, auch die wohlgesinntesten Kollegen aus der Abteilung, mit ihm in einem Auto zu fahren. Andererseits entwickelt er unkonventionelle Fähigkeiten bei Überwachungen von Verdächtigen. Meistens geht er zum Frontalangriff über. Bei seinem nicht nur in der Szene großen Bekanntheitsgrad, bleibt ihm auch nicht anderes übrig. Aber was ist schon Szene in Schwerin? Schwarzfahren, Fahrraddiebe oder Trickbetrüger vom Bahnhof. Seine direkte Art und Weise verschafft ihm aber auch seit Jahren den Respekt der Kleinstadtganoven und Spitzenplätze in seiner Fallstatistik.

Sybille ist da auch zu finden, aber ein ganz anderes Kaliber. Wenn sie selber nicht bei der Polizei arbeiten würde, müsste man diese wegen ihr selbst oft rufen. Sie sieht verboten gut aus und weißes das auch. Kokett und gar nicht prüde spielt sie mit allem und jedem. Über ihr natürlich mitgebrachtes Kapital verfügt sie dabei absolut ungeniert. Die Wirkung, bei allen Geschlechtern verfehlt das nie. Speziell Im Sommer, wetteifert sie mit den 17 jährigen Mädchen des Gymnasiums, wer in dieser Stadt den kürzesten Rock oder die transparenteste Bluse trägt. Meistens gewinnt sie. So oho wie ihre sterbliche Hülle ist, so ist auch ihr Verstand. Dass man(n) ihr das im Allgemeinen nicht zutraut, gereicht ihr oft zum Vorteil. Die Kollegen haben sich an ihre Erscheinung schon gewöhnt und versuchen auch in ihrer Nähe abgestumpft ihren Job zu verrichten. Bei besonders verqueren Situationen während Vernehmung von nicht aussagewilligen Verdächtigen, ruft die neue Chefin Sybille schon mal als gamechanger oder Geheimwaffe dazu. Solch optisch vielfältige Fähigkeiten dürfen nicht ungenutzt bleiben und werden zielführend eingesetzt. Und das bei diesem Namen, das kann sich keiner ausdenken.
Als in sich ruhender Pol, entpuppt sich der Jochen und stellt somit als absolutes Gegenteil zu den beiden Vorzeigeermittlern dar. Dabei ist er eigentlich der „Hidden Star“ der Büroetage. So ist er der Kitt, der Treibstoff oder Katalysator für geräuscharme Tätigkeiten. Mit der Attitüde einer tüchtigen und rüstigen Großmutter, hält er wenn nicht das Heft der Handlung, dann doch die Gummizügel der Mitarbeiter so fest in den Händen, dass sie auch immer wieder turnusmäßig von ihren Außenterminen zur Zentrale zurückschnippsen, um ein zuverlässiges Lagebild zu erstellen. Mit der herrisch organisierten Zielorientiertheit einer englischen Gouvernante des 18. Jahrhunderts, verbreitet Jochen ein koloniales und kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl, andere sagen Klima der Zucht und Ordnung, welches Uniformen mit Rangabzeichen bedeutungslos erscheinen lässt.
Brigitte versteht sich in ihrer neuen Rolle nicht als Leiterin einer kommunalen Teilbehörde, vielmehr fühlt sie sich als Zirkusdirektorin. Ein Sack Flöhe ist wahrscheinlich einfacher zu bändigen als die exzentrischen Persönlichkeiten der Dienststelle zu einem perfekt aufeinander abgestimmten Chor zusammenzuführen.
Wenn ich kriminelle Absichten hätte, ich würde um Schwerin einen großen Bogen machen!

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