
Eigentlich ist es Brigitte egal, wie sie von ihren Kollegen genannt wird. Und auch das Siezen ist Frau Hartling innerhalb der Diensträume egal, wenn es hoch professionell und respektvoll ist. Der Ton macht die Musik 🎶 . und genau da ist der Hase im Pfeffer. Zur Zeit herrscht eine angespannt gereizte Stimmung auf der Büroetage. Die ökonomischen Vorgaben aus dem Landtag sind brutal. Auf Beförderungen wird für die nächste Legislaturperiode wohl verzichtet werden müssen. Und die Stelle der Schreibkraft, die seit mehreren Monaten vakant ist, wird wohl einfach gar nicht mehr besetzt. Dicke Luft für Brigitte, nach unten- zu ihren Mitarbeitern und nach oben- zu ihren Vorgesetzten! Ein Glück, dass sie dank ihrer wöchentlichen Yogaeinheiten immer noch den Spagat in Sekundenschnelle machen kann. Kraft, Gelenkigkeit und Geschmeidigkeit sind nicht nur auf der Matte der beheizten Turnhalle von Vorteil. In ihrer Funktion als Mädchen für alles bei der Schweriner Kriminalpolizei, als das versteht sie sich als Leiterin, sind solche Tugenden überlebenswichtig. Sie selbst versteht beide Seiten der Medaille. Sparzwang versus Mitarbeitermotivation. Um erlich zu sein, geht es den meisten Kollegen angemessen gut in ihren Gehaltsstufen. Nur für die neuen, jungen Kollegen besteht, sagen wir mal vorsichtig, erhöhter Bedarf. Zu dem, sind es genau solche Mitarbeiter, die gesucht werden.
Bei der monatlichen Lagebesprechung im Rathaus, welche Brigitte oft als Zeitdiebstahl empfunden hat, bringt sie die Situation auf die Tagesordnung. Dabei kommen von den städtischen Verantwortlichen die üblichen Durchhaltefloskeln. Die Situation wird ausgerechnet von einem jungen bartlosen Schnösel runtergespielt, der erst seit der letzten Wahl in diesen erlauchten Kreis aufgenommen wurde. Für Brigitte ein typischer Fall von zufällig richtigem Parteibuch ohne Sach- und Fachverständnis. Das ist das Manko der Demokratie, nicht Fachleute kümmern sich um die wichtigen Themen, sondern Karrieristen und Emporkömmlinge oder sogar Geldadel. Und ausgerechnet bei diesem Fuzzy, wackelt eine fette goldene Armbanduhr am Handgelenk mit nichtdezenten Markenzeichen einer schweizer Edelmanufaktur. Seine Schreibwerkzeuge, welche er gewandt wie ein eingeölter Aal aus Innentasche seines stylischen Kaschmirsackos fischt, tragen das Signet von Europas höchstem Berg und kosten mehr als die stattliche Summe, um welche Brigitte die Staatskasse verdientermaßen monatlich erleichtert! In seinem ganzen Wesen trägt er die Bescheidenheit eines neureichen Oligarchen zur Schau. Besitzanzeigendes Fürwort mit fünf Buchstaben? Meins!
In früheren Jahren hätte diese Erscheinung Brigitte zum sofortigen Kampf provoziert. Heute und das ist eines der wenigen Dinge die im fortschreitenden Erfahrungsprozess besser werden, ist ihre Ungeduld zwar immer noch da, aber gezügelt, domestiziert, kultiviert und veredelt kann man sagen. Er, der mit nach außen gestelltem Protz, ausgerechnet er, erklärt nun Brigitte und allen anderen Anwesenden, die schwierige Haushaltslage der Stadt und des Landes. Er, als Nutznießer der stabilen, friedlichen und rechtsstaatlichen Verhältnisse, beschneidet nun da er es bis nach oben geschafft hat, die Entwicklungsmöglichkeiten und Chancengleichheit für alle anderen Bürger. Mit der fadenscheinigen Begründung, dass die Mittel die für Bildung und exekutive Dienste des Staates eingeplant waren, nun umgeleitet und in die (auch seine) wirtschaftliche Entwicklung gesteckt werden müssen. Den Mann muss sich Brigitte erstmal genauer anschauen. Kaum zurück in ihren Büro, sammelt sie zu erst alle sachdienlichen Informationen. Freiherr Alexander von Baskow, ursprünglich verarmter Landadel. Seit ein paar Jahren in der Wählergemeinschaft „Freies Land“ tätig und regional gut vernetzt. Betreibt in der Nähe von Ludwigslust ein Jagdgut mit exklusivem Kleinhotel und Schankwirtschaft. Ideale Keimzelle für politische Hirngespinste aller Art. Auf den Wahlplakaten und in seinem Internetauftritt gibt er sich volksnah. „Wählt Alex für Klartext“ war der letzt Slogan. Insgesamt steht „Freies Land“ für eine entfesselte Wirtschaft, klares Leistungsprinzip und schnörkellose Identität. Politisch gesehen ist es Brigitte egal für was von Barkow und seine „FL“ steht, aber treu ergebenen Gesetzesvertretern die Aufstiegschancen per se zu verwehren, damit hat „FL“ jetzt eine einflussreiche Gegnerin.
Jetzt und hier wird der Instinkt geweckt, dass der Aufstieg des scheinenden Sterns am schweriner Polithimmel eventuell nicht ganz so korrekt verlief. Es ging zu schnell. In Schwerin ist man sonst schnell wenn man Schnecken überholte. Aus dem nichts zum Regionalplayer in drei Jahren, legal unmöglich!
Brigitte ruft nun erst einmal ihre Stars zu sich. Jochen muss über die augenblickliche Arbeitsbelastung der Dienststelle ausgefragt werden und, falls möglich, muss er Sybille und auch den schlodderichen Fred für neue Aufgaben freibasteln. Fred bekommt, als sich Brigitte erklärt was sie mit ihm vorhat, juckende Finger. Sybille ist, als das Foto von von Barkow gezeigt wird, maximal interessiert und knöpft sich überflüssiger Weise im rund ihrer Kollegen schon mal die beiden oberen Blusenknöpfe auf. Falls der von Barkow so funktioniert wie anzunehmen ist, wird er der wohlproportionierte Falle des Gesetzes auf den Leim gehen. Fred bewirbt sich auf die Hausmeisterstelle im Jagdgut, um die anzunehmenden Ungereimtheiten des Hauses von unten zu erkunden, irgendwo sind bei soviel Glanz des von Barkows auch matte, dunkle Geheimnisse. Außerdem fühlt sich Brigitte besser, wenn ein Verbündeter Sybilles, bei Bedarf in Reichweite ist. Außer die sehr scharf geladenen Waffen einer Frau, hat Sybille als Aphroditeagentin im Konfliktfall nichts zu bieten.
Am Montag beginnt das verdeckte Ermitteln. Brigitte hat sich als Begründung für ihre Aktion den Anfangsverdacht der Wilderei, Verstoß gegen das Lebensmittelrecht in Tathergang mit Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug aus den Fingern gesogen. Irgendwas werden wir schon finden, denkt sich Brigitte. Im Büro arbeit sich Brigitte in die Familiengeschichte des von Barkowclans ein. Frei zugängliche Informationen sind aalglatt wie ein Babypo, zu glatt findet Brigitte. Beim tieferen bohren stößt sie auf nicht ganz geklärte Todesfälle in der Historie. Jagdunfälle bei in der Erbfolge eigentlich vor Alexander liegenden Verwandten. Totenscheine von russischen Militärärzten mit Anweisungen sofortiger Einäscherung von Vater und großem Bruder. Es ist also für Fred und Sybille Vorsicht geboten.
Der neue Hausmeister im Jagdgut wird in seine Aufgaben eingearbeitet. Vom auf- und zusperren der baulichen Anlage, Betreuung der technischen Einrichtung, bis zur Kontrolle der externen Dienstleister fällt alles in Freds neuen Verantwortungsbereich. Gut, dass das Gut bei Ludwigslust der barocken Residenzstadt liegt. Seine eigene Bekanntheit in Schwerin hätte das Vorhaben zum scheitern gebracht. Nur seine kultige Jacke bleibt bis auf weiteres im Schrank. Innerhalb eines Tages ist Fred räumlich soweit im Klaren, dass er bis auf wenige für ihn verschlossene Bereiche alles abgeleuchtet hat. Für die nächste Tage muss er sich noch Zugang zu den verschlossenen Räumen verschaffen. Auf die Sicherung dieser Bereiche wird sehr viel Engagement aufgewendet, dafür muss es eine Erklärung geben.
Wie zufällig taumelt Sybille am Dienstag Morgen vor dem Schweriner Wahlkreisbüro von „Freies Land“ rum, als der mit dem Konterfei des Jagdgutes geschmücktem geländegängigen rollenden einfamilienhausgroßen Panzer mit donnernden Motor zum halten kommt und der junge Freiherr dem Koloss aus Stahl und Kunststoff entsteigt. Als hätten sich zwei sich anziehende Pole endlich gefunden, ist es Sybille gelungen, nach nur wenigen Minuten smalltalk, dem Herrn von Barkow für den Rest des Tages nicht mehr von der Seite zu weichen. Die empfindlichen Stellen im Selbstbildnis von arroganten Menschen sind immer, eine weit überschätzte eigene sexuelle Ausstrahlung und daraus resultierende unsachgemäße Gefahrenbeurteilung. Genau da setzt Sybille mit traumwandelnder Sicherheit an. Ruckzuck hat sich von Barkow, von allen terminlichen Verpflichtungen des Tages befreit und staffiert von Sybille untergehakt zurück in das fahrende Monster, welches sie gut aufs Gut kutschiert. Als Fred nun die Ankunft seines neuen Dienstherren quittiert, nimmt er mit großem Erstaunen die Anwesenheit seiner Kollegin zur Kenntnis und zieht innerlich vor deren Leistung den Hut. Wie ein Gockel stolziert von Barkow mit seiner neusten Eroberung auf den besplitteten Pfaden um die in loser Folge verteilten Häuser des Gutes. Wortreiche wohlformulierte Anekdoten aus mehreren Jahrhunderten werden bis zum erlöschen jeglicher gespielter Gegenwehr über die verzückt dreinblickenden Sybille ausgeschüttet. Angeberisch und fast wie von selbst öffnet, mon cher Alex, wie Sybille ihn mit fast echtem französischen Akzent säuselnd nennt, Türen und Gänge, die für Fred bisher verborgen waren.
Bewaffnet mit einer Kleinbildkamera der Spitzenklasse, wird nun von eben diesem Fred alles zur späteren Rekonstruktion auf einer 1Terabyte SD- Karte abgelichtet. Und so als wenn man die Ermittlungen unterstützen wollen würde, klebt an jedem Raum, ja sogar an jedem Regal oder Kiste, ein Zettelchen, welches Aufschluss über den Inhalt gibt . Mecklenburger sind eben auch nur gut geordnete Preußen.
Steuerunterlagen ab 1946, nach Firmen, Jahren und Ländern geordnet, Rote Armee, Nord Stream 1 + 2, Wildfleisch Im&Export, Zahlungen Einfluss Liste A-K und L-Z , Elbphilharmonie, Mölln und noch tausende andere Kisten, Körbe und Kartons. Fred hat genug gesehen und organisiert nun den geordneten Rückzug. Als er die beiden Turteltauben wieder zu Gesicht bekommt, ist Sybille grade dabei mon cher Alex den Allerwertesten zu versohlen. Als hätte Sybille noch nie etwas anderes gemacht, geht die vollständig in ihrer Rolle als gestrenge Erzieherin auf. Alexander von Barkow war ja wirklich ein ganz böser Junge, auch wenn die gerechte Strafe für seine Machenschaften auch später ein Gericht wird festlegen müssen. Wenn es schon keine Gehaltsanhebungen mehr gibt, denkt sich Fred, gibt es wenigstens noch Zweitjobverwendungen für uns Beamte. Domina, Hauswart, mal sehen was das Präsidium noch alles an versteckten Talenten zu bieten hat.
Durch den hotspot aus der Kamera wurden die Bilder an Brigitte weitergeleitet. Diese rückt mit Durchsuchungsbeschluss und dem vollen Einsatzkommando grade zur Feierabendzeit an. Fred wechselt den dunkelgrünen Kittel mit Jagdgutemblem mit seiner geliebten Kultjacke und Sybille steckt zu ihrem eigenen allergrößten Bedauern all ihre vorgelagerten Körperteile wieder in züchtige bürotaugliche Klamotten. Der Herr von Barkow wird nun von seinem Anwalt gestützt und erfährt durch diesen, dass es schwerwiegende Verdächtigungen gegen ihn und sein Firmenkonsortium gibt. Wenn nur die Hälfte der Vermutungen durch die Sichtung der gefundenen Unterlagen bestätigt werden, ist Schwerin, Ludwigslust und ganz Mecklenburg für sehr lange von dem von Barkows verschont. Davon wird vielleicht kein Heller oder Euro mehr ausgegeben werden können, aber der Gerechtigkeit ist ein bisschen Genüge getan.
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